Ausnahmegenehmigungen im Straßenverkehrsrecht

Autorin: Quynh Trang Pham

Die Suche nach einem Parkplatz stellt besonders in Großstädten ein zeitaufwändiges Phänomen dar. Dieses Phänomen geht vermutlich auf eine Kumulation zweier wesentlicher Faktoren zurück: Zum einen gibt es nicht genügend kostenlose Parkmöglichkeiten für alle Verkehrsteilnehmer, zum anderen sind viele von ihnen nicht bereit, hohe Parkgebühren in den Parkbewirtschaftungszonen der Innenstadt zu bezahlen. Dem durchschnittlichen Bürger bleibt nichts anderes übrig, als diese Begebenheiten zu akzeptieren oder sich dem Risiko auszusetzen, dass das eigene Auto wegen Falschparkens im schlimmsten Fall abgeschleppt wird. Doch herrscht Einigkeit darüber, dass dies nicht ausnahmslos gelten kann. In bestimmten Fällen können unter der Einhaltung bestimmter Voraussetzungen Parkerleichterungen als Ausnahmegenehmigung gestattet werden.

I. Was sind Ausnahmegenehmigungen?

Ausnahmegenehmigungen im Sinne des § 46 StVO ermöglichen den Straßenverkehrsbehörden bei sachlich vertretbaren Gründen allgemein oder in Einzelfällen Ausnahmen von den in § 46 Abs. 1 StVO genannten Norm für einen begrenzten Zeitraum auf Antrag zu erteilen.[1] Dafür ist die Angabe von Gründen, die das grundlegende öffentliche Interesse an dem Verbot überwiegen, erforderlich. Die sachlich vertretbaren Gründe sind in § 46 StVO aufgelistet. Konkretisierungen zu den einzelnen Ziffern ergeben sich aus der allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung zu § 46 StVO.

II. Welche verschiedenen Formen von Ausnahmegenehmigungen gibt es?

1. Ausnahmegenehmigung für Schwerbehinderte

Personen mit einer anerkannten außergewöhnlichen Gehbehinderung („aG“) oder Blindheit („Bl“) können auf Antrag einen blauen EU-Parkausweis erhalten, mit dem sie im Bundesgebiet unter anderem bis zu drei Stunden im eingeschränkten Halteverbot parken dürfen[2], sofern in zumutbarer Entfernung keine andere Parkmöglichkeit besteht. In Berlin wird zusätzlich das Parken bis zu drei Stunden im absoluten Halteverbot mit Zusatzzeichen: „Be- und Entladen, Ein- und Aussteigen frei“ gestattet.

2. Ausnahmegenehmigung für Ärzte

Bestimmten Berufsfeldern ist es unzumutbar, erst einen passenden Parkplatz aufsuchen zu müssen, bevor sie ihrer Tätigkeit nachgehen können. Zu ihnen gehören Ärzte, die regelmäßig Hausbesuche vornehmen oder im Rahmen von Notfalleinsätzen unterwegs sind. Das Gesetz sieht vor, dass ihnen unter bestimmten Voraussetzungen Parkerleichterungen gestattet werden.

a) Hausbesuche

Ärzte können für Hausbesuche eine Genehmigung mit einer Gültigkeit von drei Jahren, mit der sie an jedem Parkplatz parken können, beantragen. Voraussetzung ist, dass der erreichende Ort durch eine unzumutbare Strecke erreichbar ist.

b) Notfalleinsätze

Im Gegensatz zu den Ausnahmegenehmigungen für Schwerbehinderte können sich Ärzte im Zusammenhang mit Notfalleinsätzen lediglich auf den rechtfertigenden Notstand im Sinne des § 16 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten berufen. Das Parken während eines Notfalleinsatzes ist nicht rechtswidrig, wenn es in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahrenlage für Leben oder Gesundheit des Patienten notwendig ist. Ärzte, die häufig Notfalleinsätze betreuen, erhalten von der zuständigen Landesärztekammer ein Schild mit der Aufschrift „Arzt – Notfall – Name des Arztes – Landesärztekammer“.

3. Ausnahmegenehmigung für Pflegedienste

Nicht nur Ärzte nehmen Hausbesuche vor, sondern auch Pflegedienste. Die Ausnahmegenehmigung für Pflegedienste wird nachfolgend für das Land Berlin erörtert.

III. Ausnahmegenehmigungen in der Stadt Berlin

Betriebe können für ihre Fahrzeuge Anträge zur Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO beim Bezirksamt stellen. Für jedes Fahrzeug ist ein gesonderter Antrag zu stellen. Die Antragsstellung muss bei dem Bezirksamt erfolgen, in dessen Parkraumbewirtschaftungszone sich der Betriebssitz befindet. Eine Übersicht zu allen Parkraumbewirtschaftungszonen finden Sie hier: https://fbinter.stadt-berlin.de/fb/index.jsp?loginkey=showAreaSelection&mapId=parkraumbewirt@senstadt&areaSelection=address.

1. Ermessenslenkende Richtlinien (VLB Nr. 1/2018)

Am 18.04.2018 wurde im Land Berlin ein „Leitfaden zu Bewohnerparkausweisen und Ausnahmegenehmigungen im Rahmen der Parkraumbewirtschaftung“ eingeführt. Es handelt sich um Festlegungen zum Umgang mit Ausnahmegenehmigungen von der Parkgebührenpflicht in Bewohnerparkzonen, die die Verkehrslenkung Berlin in Abstimmung mit der obersten Straßenverkehrsbehörde getroffen hat. Unter anderem wurde festgelegt, dass Pflegedienste in jeder Parkbewirtschaftungsraumzone Berlins die Daten 20 verschiedener Patienten innerhalb von acht Wochen vorweisen müssen, um eine Ausnahmegenehmigung zu erhalten, andernfalls sei es den Pflegediensten zuzumuten, entweder einen Parkplatz außerhalb der Parkbewirtschaftungszonen zu parken oder die Parkgebühr zu bezahlen. Großunternehmen werden kaum von dieser Regelung tangiert. Kleinunternehmen hingegen können dadurch in ihrer ungehinderten und effektiven Tätigkeitsausübung betroffen sein. Die Schaffung der Festlegung führt schon aus verfassungsrechtlicher Perspektive zwangsläufig zu Konflikten. Insbesondere könnte der Gleichheitsgrundsatz verletzt werden. Erst kürzlich haben sich das Verwaltungsgericht und Oberverwaltungsgericht Berlin mit einem derartigen Fall auseinandersetzen müssen.

2. Sachverhalt

Die Klägerin ist Betreiberin eines ambulanten Pflegedienstes in Berlin. Ihr Geschäftsmodell besteht darin, ihre Patienten zu Hause zu besuchen und dort ambulant pflegerische Leistungen zu erbringen. Im Jahr 2019 beantragte sie beim zuständigen Bezirksamt, ihr für zwei Fahrzeuge erneut eine Ausnahmegenehmigung zum Parken ohne Anwohnerparkausweis oder Parkschein zu erteilen. Eine solche Ausnahmegenehmigung hat sie in der Vergangenheit bereits mehrfach für die Parkraumbewirtschaftungszonen in Berlin bekommen (Charlottenburg-Wilmersdorf, Friedrichshain-Kreuzberg, Mitte, Pankow, Spandau, Steglitz-Zehlendorf und Tempelhof-Schöneberg). Das zuständige Bezirksamt hat sie in einem Schreiben aufgefordert, eine Liste mit den Daten von 20 Patienten pro Bezirk – bezogen auf einen Zeitraum von acht Wochen – nachzureichen. Ein entsprechender Nachweis konnte die Klägerin nicht erbringen, woraufhin das Bezirksamt die Anträge mit Schreiben und nachfolgendem Bescheid ablehnte. Daraufhin erhob die Klägerin Widerspruch, welcher mit Widerspruchsbescheid vom Bezirksamt zurückgewiesen wurde. Einige Wochen später hat die Klägerin Verpflichtungsklage erhoben, mit der sie ihr Begehren – die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zum Parken ohne Bewohnerparkausweis oder Parkschein – weiterverfolgt. Sie begründet ihr Begehren damit, dass sie die Ausnahmegenehmigung benötige, da es zu ihrer ungehinderten und effektiven Ausübung ihrer Tätigkeit unerlässlich sei, dass ihre Mitarbeiter mit ihren Fahrzeugen, vor allem in Notfällen, möglichst schnell parken und ihre Patienten versorgen könnten, ohne dass sie befürchten müssen, ein Bußgeld auferlegt zu bekommen. Die Klägerin führt zudem aus, dass die Verwaltungsvorschriften, an denen sich die Praxis des Bezirksamtes ausrichte, willkürlich seien und damit ermessensfehlerhaft. Dadurch würde man im Wesentlichen einseitig Unternehmen mit großem Auftragsvolumen begünstigen. Ein sachlicher Grund, dass die Klägerin weniger einer Ausnahmegenehmigung bedürfe, besteht nach ihrer Ansicht nicht. Die Vorlage der angeforderten Patientenlisten hält sie aus datenschutzrechtlichen Gründen für unzulässig. Die Klägerin beantragt, den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides des Bezirksamtes in der Fassung des Widerspruchsbescheides derselben Behörde zu verpflichten, ihr eine Ausnahmegenehmigung zum gebührenfreien Parken in der Parkraumbewirtschaftungszone innerhalb Berlins für die auf sie zugelassenen Kraftfahrzeuge zu erteilen.

3. Urteil und Antrag auf Zulassung der Berufung

Die Verpflichtungsklage war nach Ansicht des Verwaltungsgericht Berlins zwar zulässig, jedoch unbegründet. Der Bescheid des Bezirksamtes in Gestalt eines Widerspruchsbescheides sei rechtmäßig und verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten. Ansprüche der Klägerin auf Erteilung der begehrten Ausnahmegenehmigung sowie auf eine (erneute) ermessensfehlerfreie Entscheidung bestünden nicht.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin unter anderem aufgrund ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils Berufung eingelegt. Diese wurde vom Oberverwaltungsgericht Berlin für zulässig erklärt.

Das zuständige Bezirksamt hat der Klägerin daraufhin neue Anforderungen zur Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO gestellt. Diese richteten sich nicht mehr nach dem Rundschreiben VLB Nr. 1/2018, sondern nach SenUVK BA-Info Nr. 2/2021. Um eine Ausnahmegenehmigung zu erhalten, müssen Unternehmen 20 Nachweise zu Tätigkeitsorten innerhalb der Bezirke mit Parkraumbewirtschaftungszonen in einem Zeitraum von acht Wochen vor Antragsstellung erbringen. Dazu soll eine Patientenliste mit Angabe von Straße, Hausnummer, Postleitzahl und dahinter zu jeder Straße die Häufigkeit des Einsatzes, z.B. 1x täglich oder 2x wöchentlich. Als Tätigkeitsort im Sinne der SenUVK BA-Info Nr. 2/2021 zählt jeder angefahrene Einsatzort. Demgegenüber hat der „Leitfaden zu Bewohnerparkausweisen und Ausnahmegenehmigungen im Rahmen der Parkraumbewirtschaftung“ (VLB Nr. 1/2018) als Tätigkeitsort 20 verschiedene Patienten unabhängig von der Besuchsanzahl angefordert. Es macht aber im Hinblick auf die Ungleichbehandlung von Klein- und Großunternehmen keinen erheblichen Unterschied, ob 20 Einsatzorte oder 20 unterschiedliche Patienten als Voraussetzung zur Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO gefordert werden, weil für die Kleinunternehmen weiterhin eine Hürde besteht.

IV. Fazit

Der Senat für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz hat mit SenUVK BA-Info Nr. 2/2021 eine Regelung erlassen, welche die Vorschrift zu den Ausnahmegenehmigungen für Pflegedienste aus dem „Leitfaden zu Bewohnerparkausweisen und Ausnahmegenehmigungen im Rahmen der Parkraumbewirtschaftung“ (VLB Nr. 1/2018) ersetzt. Dass vonseiten des Bezirksamts weiterhin Uneinsichtigkeit hinsichtlich einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung von Kleinunternehmen gegenüber Großunternehmen besteht, zeigt sich anhand der „neuen“ Anforderungen. Es bleibt festzuhalten, dass Kleinunternehmen nach wie vor aus sachlich nicht gerechtfertigten Gründen benachteiligt werden.


[1] Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Hühnermann, 26. Aufl. 2020, StVO § 46 Rn. 1.

[2] Zu den durch den blauen EU-Parkausweis gestatteten Parkerleichterungen: https://www.berlin.de/lageso/behinderung/schwerbehinderung-versorgungsamt/nachteilsausgleiche/parken/